Goodwood sieht wieder
rot
Chichester,
20. Juni 1999
- Die
britischste aller automobilen
Großveranstaltungen hat auch bei ihrer
siebten Auflage nichts von ihrer
Faszination eingebüßt. Wenn Charles,
der Earl of March an Kinrara, ins
südenglische Goodwood ruft, kommen alle
gern die Weltelite des
Motorsports, die Besitzer legendärer
Rennwagen und Zehntausende von
Zuschauern. Obwohl sich die sportliche
Bedeutung des Festival of Speed in
Grenzen hält, fanden sich 1999 insgesamt
18 Ferrari ein, um die 1,867 Kilometer
lange Bergrennstrecke zu erklimmen. Bei
der Jagd nach der Bestzeit spielte
allerdings keiner von ihnen eine Rolle,
zumal der modernste Ferrari, ein 333 SP
(#001), unbeweglich im Paddock stehen
blieb. Schnellster Ferrari-Pilot war Rick
Hall, der mit dem 312 B (#003) aus der
Donington Collection 56,33 Sekunden
benötigte. Schnellster des Wochenendes
war McLaren-Testfahrer Nick Heidfeld, der
mit dem weltmeisterlichen
McLaren-Mercedes MP 4/13 aus dem Vorjahr
nur 41,6 Sekunden benötigte und damit
einen von Jonathan Palmer vor drei Jahren
aufgestellten Rekord unterbot.
- Der älteste
Ferrari des Festivals war ein 625 F1
(#0540), der 1955 an Alfonso de Portago
verkauft worden war, der ihn bei
zahlreichen Grand Prix ohne
Meisterschaftsstatus einsetzte. Schon
seit 40 Jahren haftete diesem Wagen
hartnäckig der Ruf an, der Siegerwagen
des denkwürdigen Grand Prix von Monaco
1955 zu sein, wofür es allerdings keinen
Beweis gibt.
- Im
Fahrerlager standen drei Generationen der
erfolgreichen Renn-Berlinetta mit
Gioachino Colombos V12 und drei Litern
Hubraum einträchtig nebeneinander: Wie
in den Vorjahren, war Paul Vestey mit
seinem 250 GT (#0607GT) erschienen, der
nicht irgendein "Tour de
France" ist, sondern genau jenes
Exemplar, das mit seinem Sieg bei der
französischen Rundfahrt 1957 für den
Beinamen dieses Ferraris sorgte. Daneben
stand der 250 GT SWB (#2689GT) von
Michael Cowdray, der 1961 Dritter und
Klassensieger in Le Mans wurde. Ein alter
Bekannter in Goodwood wurde ein Jahr
später Dritter in Le Mans, belegte
allerdings nur den zweiten Platz seiner
Klasse:
- der 250 GTO
(#3757GT) von Pink Floyd-Drummer Nick
Mason, der an diesem Wochenende von
dessen Gattin Annette politiert wurde.
Der
Dino 246 Tasman (#0010) von Sally und Dudley
Mason-Styrron und ein frisch rekonstruierter 312
F1 (#0019), gefahren von Paul Osborn, von
repräsentierten Ferraris Monoposti der 60er
Jahre. Beide wurden damals von Chris Amon
gefahren, aber während der eine sehr erfolgreich
war (mit ihm holte der Neuseeländer 1969 die
Tasman-Meisterschaft) schrieb der andere eines
der unrühmlichsten Kapitel der Ferrari-Historie.
1969 holte die Scuderia in der
Konstrukteurs-Meisterschaft ganze sieben Punkte.
- Zwei große
Themen bestimmten 1999 das Festival of
Speed und belegten den Platz vor der
Säulenfassade von Goodwood House: Thema
Nummer 1 war die bayrische Marke Audi
samt ihrer sächsischen Wurzeln, und
Thema Nummer 2 waren die 24 Stunden von
Le Mans. Beim ersten Nachkriegsrennen an
der Sarthe siegte vor genau 50 Jahren
erstmals ein Ferrari, der von Luigi
Chinetti gefahren worden war. Leider
fehlte der seinerzeit siegreiche 166 MM
in Goodwood, aber dafür waren zwei
originale Siegerwagen der acht späteren
Erfolge zugegen: Paul Frère steuerte den
250 TR 60 (#0774TR), mit dem er 1960
gewann, und Phil Hill den letzten Le
Mans-Sieger mit Frontmotor, den 330 TRI
(#0808) aus 1962. Frère und Hill wurden
übrigens bei ihren Siegen vom 1998
verstorbenen Olivier Gendebien
unterstützt.
- Der
Siegerwagen aus 1960 gehört Paul
Pappalardo aus Florida und ist Stammgast
bei historischen Renn-Veranstaltungen.
Beim 62er Sieger verhält es sich etwas
anders: Er ist Bestandteil des Collection
Mas du Clos, und für den Veranstalter
ist es wahrhaft eine Auszeichnung, wenn
Pierre Bardinon, Besitzer dieser
Sammlung, eines seiner Schmuckstücke zur
Verfügung stellt.
- Unter den
zahlreichen Le Mans-Siegern und anderen
prominenten Fahrern, die nach Goodwood
gekommen waren, hatten viele zu ihrer
aktiven Zeit einen Ferrari bewegt. Aber
seien wir ehrlich wer hatte das
eigentlich nicht? Tony Brooks, Stirling
Moss, John Surtees, Derek Bell, Jacky
Ickx, René Arnoux die Liste
ließe sich noch fortsetzen.
- Patrick
Tambay und Michele Alboreto waren indes
standesgemäß motorisiert: Tambay fuhr
den 126 C2B s/n 065, mit dem er 1983
seinen mittlerweile legendären Sieg in
Imola feierte der übrigens bis zu
Schumachers Sieg in diesem Jahr er letzte
Ferrari-Triumph an dieser Stelle blieb.
- Der 156-85 F1
s/n 082, den Michele Alboreto in Goodwood
fuhr, glich dem Wagen, mit dem er 1985
Vize-Weltmeister wurde, bis aufs Haar. Es
handelte sich jedoch um das Einsatzauto
seines Teamkollegen Stefan Johansson. Der
Italiener und der Schwede scheinen auch
eineinhalb Jahrzehnte nach ihrer
gemeinsamen Zeit bei Ferrari nicht
voneinander loszukommen: In diesem Jahr
waren sie Teamkollegen in der Le
Mans-Equipe von Audi.
- Nach soviel
hochkarätigem Altmetall und den
zahlreichen Stars, die Autogrammjäger
das ganze Wochenende über in Atem
hielten (und umgekehrt übrigens) bleibt
abzuwarten, was sich der Earl of March
für das Festival of Speed des Jahres
2000 einfallen läßt. Das Starterfeld
dieses Jahres dürfte sich nur schwer
überbieten lassen. Aber schließlich hat
der britische Adlige auch bisher einen
unermüdlichen Erfindungsreichtum an den
Tag gelegt.
Gregor
Schulz
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